Erste Einschätzung des Gerichts: Reicht es, sich auf die Mitarbeiter zu verlassen?

Das Gericht nähert sich langsam dem Wesentlichen im Prozess.

Worin besteht die Pflichtverletzung? Aus welchem Pflichtverstoß wird die 8. Strafkammer den Tatbestand der schweren Untreue ableiten, den die Staatsanwaltschaft den 6 früheren HSH-Vorständen vorwirft? Auf diese alles entscheidende Frage im HSH-Prozess gab die Strafkammer am 42. Verhandlungstag eine erste Andeutung.

Dr. Marc Tully, Vorsitzender Richter im HSH Prozess
Dr. Marc Tully

Grundlegend stellten sich für die Kammer um Richter Marc Tully u.a. diese Fragen: Ergeben sich aus der Vorstandsvorlage, der Einschätzung der NPNM-Abteilung und der Risikoabteilung, also aus den Vorarbeiten der Mitarbeiter, hinreichende Anhaltspunkte für eine untreuerelevante Pflichtwidrigkeit — unter Beachtung der Sonderkenntnisse jedes einzelnen Angeklagten? Und: Wie muss eine Vorstandsvorlage aussehen als Basis für eine sorgfältig getroffene Entscheidung?

Vorstände müssen selbst aktiv werden

Kann die “blanke Mitteilung über eine Prüfung des Geschäfts” durch die Mitarbeiter (Risiko- und Rechtsabteilung, Accounting …) wirklich eine hinreichend belastbare Quelle für einen Vorstand sein, um ein kompliziertes Finanzkonstrukt wie Omega 55 zu genehmigen? Für den Vorsitzenden Richter Tully und seine beisitzenden Richter scheint es nicht zu reichen. 

Die entscheidende Frage sei, sagte Tully: Reicht es bei einem 2,4 Milliarden-Deal aus, dass in der Vorstandsvorlage steht, die Rechtsabteilung habe umfassend geprüft? Reicht also: Vera habe “vigerously” geprüft? (Dieser Satz steht so ähnlich in der Vorstandsvorlage, statt Vera aber Rechtsabteilung).

Diesem Gedanken folgend fragen sich die Richter: Mit welcher Ausführlichkeit müssen sich Entscheidungsträger informieren lassen? Und in welchem Umfang muss sich ein Vorstand selbst einen “plausibilisierbaren Sachverhalt” erarbeiten, um seiner Pflicht als Vorstand und sorgfältigem Geschäftsleiter nachzukommen?

Dem Gericht gehe es um die Anforderungen an eine Vorstandsvorlage, wenn das Geschäft einen bestimmten rechtlichen Charakter hat, hier eine Entlastung des Eigenkapitals. 

Richtschnur § 18 KWG

Richter Tully belegte seine Gedanken mit den “kleineren Fischen” der Geldbranche. Es seien schon Bankleiter verurteilt worden nach § 18 Kreditwesengesetz KWG, weil sie sich mit dem Kreditnehmer und seiner Zahlungsfähigkeit nicht hinreichend beschäftigt hatten. Und an diesem § 18 KWG wollen sich die drei Richter bei ihrer Urteilsfindung orientieren, so Tully.

Mit dieser Einschätzung biegt das Gericht langsam auf die Zielgerade ein. Ursprünglich waren für den Prozess 44 Tage angesetzt. Wir sind bei Tag 42. Vielleicht sehen wir ja doch schon im April ein Urteil.

  

Foto:  Hamburgischer Richterverein

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