Heiterkeit im HSH-Prozess mit Gerichtsgutachter Prof. Martin Hellmich.
Bevor es am kommenden Montag, den 17. März, mit dem Strafverfahren gegen die 6 früheren Vorstände der HSH Nordbank weiter geht, noch vorab zur Einstimmung ein Nachbericht auf den 46. Verhandlungstag. An diesem war der zweite Sachverständige des Gerichts geladen, Prof. Martin Hellmich von der Frankfurt School of Finance.
Hellmich ist als Mathematiker unter anderem Fachmann für die Bewertung von komplexen Verbriefungen. Das Gericht möchte von ihm eine Werteinschätzung des Teil-B von Omega 55 erfahren. Teil-B ist eine komplexe Verbriefung. Die Staatsanwaltschaft wirft den Vorständen vor, dass Teil-B zum Zeitpunkt des Vertragsbeginns am 24. Januar 2008 (und eigentlich auch schon bei Genehmigung von Omega am 21.Dezember 2007) bereits an Wert verloren hatte — also schon da ein Vermögensschaden eingetreten war, den die Vorstände in Kauf nahmen.
Heiterkeit trotz Sprengkraft
Erstmals herrschte eine lockere, fast heitere Atmosphäre im Gerichtssaal, dabei könnten Hellmichs Einschätzungen eine hohe Sprengkraft für die Angeklagten haben. Und erstmals stellte das Gericht dem Gutachter ein Hilfsmittel zur Seite — einen Projektor, den Hellmich an seinen Laptop anschloss, vermutlich so wie in der Uni in der Vorlesung. Dadurch konnte nicht nur das Gericht und die Angeklagten dem Vortrag des Sachverständigen anders folgen als bisher.
Gericht setzt erstmals Projektor ein
Vor allem das Publikum im Saal, also wir Beobachter, hatten durch den Projektor erstmals Einblick in ein Schriftstück, das vor Gericht Bedeutung hat und konnten dadurch der mathematischen Materie weitaus besser folgen, als wenn Gutachter Martin Hellmich einfach nur erzählt hätte, so wie die beiden Gutachter vor ihm. Großartig! Während Hellmich per Computer durch sein Erklärdokument und die Formeln scrollte, lasen wir auf dem Lichtbild hinter ihm mit. Denn nur die Prozessbeteiligten erhalten die Schriftfassung, wir Journalisten nicht.
Bewertungsmodell soll Vermögensschaden beziffern
Was Prof. Martin Hellmich vortrug, war aber erst einmal nur die Einführung in die mathematische Bewertungs-Methodik. Den tatsächlichen Vermögenswert der Verbriefung berechnet er erst noch; denn das Gericht hatte Hellmich erst im Januar/Februar dieses Jahres beauftragt.
Hellmich berichtete kurz, dass er sich durch das umfangreiche Vertragswerk von Omega 55 teilweise gelesen und ein Referenzportfolio für Teil-B zusammengestellt habe für seine Methoden-Einleitung. Seiner Einschätzung nach habe es 2007 deutlich komplexere Finanzpapiere gegeben als Teil-B von Omega und der Markt dafür (für STCDOs) sei 2007 sehr aktiv gewesen — heute aber ausgetrocknet.
Der intellektuelle Hürdenlauf
Nach weiteren, allgemeinen Fragen des Gerichts – und auch der Verteidiger – ging Gutachter Hellmich schließlich zur mathematischen Methodik über. Er sprach über die Verlustverteilung in Portfolien, von “default legs”, von Ausfallkurven, Modellierungen und Simulationen, von Korrelationen, Spreads, Ausfallwahrscheinlichkeiten, Basispunkten, Barwerten und recover rates … und entwickelte von Seite zu Seite die mathematische Formel, die er zur Bewertung heranziehen will.
Immer, wenn er einen neuen Apspekt einführte, kündigte er das mit dem kleinen Satz an: “Jetzt kommt die nächste intellektuelle Hürde.” Dabei lächelte der 44-jährige fast spitzbübisch. Er schien Freude an dem Wissen zu haben, das wohl kaum jemand im Gerichtssaal ihm bis ins Kleinste folgen konnte. Ich jedenfalls nicht. Hellmich ist es sichtlich gewöhnt, dass sein Gegenüber große Augen macht, wenn er fachlich wird.
Die Formel der Finanzkrise
Am Ende mündete die Methodik-Einführung in die “gaussian-copula-function“. Dieses Bewertungsmodell hat der Chinese David X. Li entwickelt; er erhielt dafür den Nobelpreis. Mit Hilfe von Li’s Modell berechneten ab dem Jahr 2000 im Grunde alle Banken und Analysten die Wahrscheinlichkeiten, wann Kredite in einem gemeinsamen Portfolio ausfallen könnten. Dadurch wurde der Vermögenswert einer Verbriefung festgelegt, also letztlich ein Preis für diese Wertpapiere.
Das Gauss-Copula-Modell wird mitverantwortlich für die Finanzkrise ab 2007 gemacht. Siehe hier der Bericht von Felix Salmon: “Recipe for Disaster: The Formula That Killed Wall Street”
What the hell are “corporates”?
Am Ende von Martin Hellmichs Einführung sprach das Gericht die Frage an, ob der Fachmann unter dem Begriff “Corporates” auch Banken verstehen würde? Diese Frage erscheint wichtig, weil in der Vorstandsvorlage steht, dass die verbriefte Struktur aus einem Paket von “corporate and governmental entities” besteht. Corporates steht gewöhnlich für Firmen/Unternehmen, nicht für Banken. Die firmieren eigentlich unter “financials”. Die Vorstände haben aber unterschrieben nur für “corporates …”
Martin Hellmich gab darauf zwei Antworten: Für ihn persönlich seien “corporates” und “financials” anders zu betrachten. Viele, meinte er aber auch, nehmen “corporates” und “financials” als eine “Rubrik” wahr, machten also keine Unterscheidung. Die Zeugen aus der HSH Nordbank hatten ebenfalls Unterschiedliches ausgesagt. Manche sahen darin einen Unterschied, andere nicht.
Das Gericht bat Gutachter Hellmich, den Vermögenswert des Teil-B von Omega einmal ohne “financials” zu berechnen und einmal mit. Denn offenbar waren in der Verbriefung doch Banktitel enthalten, mehr als 5, von denen einige letztlich 2008 ausgefallen waren.
Der Vorsitzende Richter Tully fragte Hellmich deswegen, ob STCDOs im Jahr 2007 immer “financials”, also Bankkredite, enthalten hätten? Hellmich meinte, er habe noch kein STCDOs ohne Banktitel gesehen. Man hätte solche Verbriefungen aber auch ohne auflegen können.
Daraufhin wandte sich Staatsanwalt Fink an den Gutachter und fragte ihn, ob er daraus schließen dürfe, wenn jemand 2007 eine Single Tranche Credit Debt Obligation kaufte, dann seien da immer “financials” drin gewesen? Ja, meinte Gutachter Hellmich, aber das wisse nur derjenige, der den CDO-Markt kenne. Sonst lasse sich nicht automatisch darauf schließen.
Was das Gericht nicht fragte …
Zu einem wichtigen Gesichtspunkt befragte das Gericht den Mathematiker allerdings nicht: Ob er denn finde, dass in einer Bank ein Risikomanagementsystem als ordnungsgemäß angesehen werden kann, wenn es nicht in der Lage ist, den Vermögenswert einer Verbriefung in der eigenen Dokumentation nachzuschlagen, anstatt jetzt, fast 7 Jahre später, so einen Wert über eine komplizierte Formel auszurechnen? Die HSH ist nämlich nicht in der Lage, den Wert der Verbriefung 2007/8 dem Gericht zu nennen. Dennoch haben die Vorstände damals das Geschäft genehmigt.
Die Verteidiger hielten sich an diesem 46. Verhandlungstag auffallend zurück. Bis auf eine kleine, explosive Rangelei zwischen Verteidiger Otmar Kury und Staatsanwalt Karsten Wegerich verlief dieser Tag vor Gericht geradezu harmonisch.
Der Gutachter und seine Vergangenheit
Prof. Martin Hellmich studierte und promovierte an der Universität Ulm, deshalb kennt er auch den Angeklagten Prof. Dirk Jens Nonnenmacher. Nonnenmacher habilitierte in Ulm zu dieser Zeit, vielleicht hat er sogar bei ihm Seminare belegt. Hellmich hat lange für Banken gearbeitet, darunter die LBBW, Barcleys Capital und die DekaBank. Er hat komplexe Finanzpapiere strukturiert, bewertet, gehandelt. Seit 2011 ist er ordentlicher Professor in Frankfurt, dazu Geschäftsführer einer Firma, die komplexe Finanzprodukte strukturiert und bewertet – unter anderem für eine der beiden deutschen Abwicklungsanstalten.
Noch eine Anekdote am Rand zur übersichtlichen Welt der deutschen Banker:
Martin Hellmich hat bei seinem Job bei der Deka-Bank ebenfalls mit einem Ex-HSH-Vorstand zusammen gearbeitet – Franz Waas. Waas war bis Ende 2005 Kapitalmarktvorstand bei der Nordbank. Als Deka-Vorstandschef warb Waas wohl Martin Hellmich im Jahr 2007 von Barcleys ab. Nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 musste die Deka-Bank mehr als eine Milliarde (!) Euro auf strukturierte Finanzprodukte abschreiben … Waas wurde im April 2012 als Deka-Chef gekündigt.
Pingback:Heiterkeit im HSH-Prozess mit Gerichtsgutachter...
Mir ist ehrlich gesagt, der Sinn dieses Vortrags nicht ganz klar geworden: Wollte Herr Prof. Hellmich dem Gericht verständlich machen, wie man CDO´s bewertet ? Ich kann mir vorstellen, dass dafür ein Vortrag kaum ausreichen kann.
Oder sollten die Schwachpunkte der Art und Weise, wie man Ende 2007 in der Bewertung mit diesen Produkten verfahren ist, ausgeleuchtet werden ? Ich würde auch vermuten, dass der Professor nicht unbedingt im Lager der Kritiker diese Produkte und deren Bewertungsmethoden angesiedelt war und ist.
siehe auch hier, ein Artikel
“Mit Single-Tranchen-CDOs wird das Leben im Niedrigzinsumfeld erträglicher” aus dem Jahre 2005
http://www.portfolio-institutionell.de/newsdetails/article/mit-single-tranchen-cdos-wird-das-leben-im-niedrigzinsumfeld-ertraeglicher.html
(kommt bestimmt alles wieder, wir haben ja aktuell auch immer noch ein Niedrigzinsumfeld)
Ich vermute, dass ein Teil der Herren im Vorstand der HSH soweit ausreichend mit den Produkten und deren Schwachstellen vertraut war, dass sie auch den Sinn oder Unsinn der marktüblichen Bewertungsmethode mit Verwendung der Gauss-Copula-Funktion zur Modellierung von Ausfallkorrelationen einschätzen konnten (hat die HSH damals diese Methode verwendet ?).
Ich finde es bezeichnet, was Paul Wilmott über diese Methode geschrieben hat
Synthetic CDOs suffer from problems with correlation. People typically model these using a copula approach, and then argue about which copula to use. Finally because there are so many parameters in the problem they say “Let’s assume they are all the same!” Then they vary that single constant correlation to look for sensitivity (and to back out implied cor- relations). Where do I begin criticizing this model? Let’s say that just about everything in this model is stupid and dangerous. The model does not capture the true nature of the interaction between underlyings, correlation never does, and then making such an enormously simplifying assumption about correlation is just bizarre…
(aus “Where Quants Go Wrong
A dozen basic lessons in commonsense for quants and risk managers and the traders
who rely on them”)