Auf Anfang: BGH hebt Freisprüche im HSH-Prozess auf

Zweieinhalb Stunden dauerte die Hauptverhandlung vor dem 5. Strafsenat des BGH in Leipzig. Von 10 bis 12:30 Uhr. Dann kündigte der Vorsitzende des Strafsenats, Prof. Günther Sander, an, jetzt eine Pause einlegen zu wollen – und fügte zum Erstaunen der Anwesenden hinzu: 16 Uhr gehe es weiter. Dann werde er das Urteil verkünden, zu dem der Senat gekommen sei in der Revision gegen die Freisprüche der sechs früheren Vorstände der HSH Nordbank.

Der 5. Strafsenat des BGH
     Gerichtsaal. Der 5. Strafsenat sitzt mittig, rechts die Verteidigerriege.

Vor allem die Verteidiger der Angeklagten waren fest davon ausgegangen, dass der Strafsenat sein Urteil in diesem komplexen Fall erst in den nächsten Tagen bekannt geben würde. Er urteilte aber sofort – auch mit Blick auf die wenigen, anwesenden Journalisten, wie Sander sagte.

Durchgreifender Rechtsfehler“ bei Bewertung der Untreue

Als es soweit war, pünktlich 16 Uhr, räumte der Senatsvorsitzende mit wenigen Sätzen mit den Widersprüchen im Freispruch-Urteil des Landgerichts Hamburg auf. Die 8. Große Strafkammer, damals unter dem Vorsitz von Dr. Marc Tully, habe zwar ein sorgfältiges Urteil gefällt, sagte der Stellvertretende Vorsitzende in freier Rede. Es enthalte aber erstens bei der Bewertung der Untreue einen „durchgreifenden Rechtsfehler“. Und bei der Bewertung der Bilanzfälschung wurde nicht das Gesamtbild gewürdigt.

Der durchgreifende Rechtsfehler besteht nach Ansicht des BGH darin, dass die Strafkammer ihrerseits „unvollständig geprüft“ habe, ob die Angeklagten sorgfältig gehandelt und ihren Informationspflichten nachgekommen sind, bevor sie das spekulative 2,4 Milliarden Finanzgeschäft namens Omega55 unterschrieben. Denn das müssen Vorstände tun gemäß § 93 Aktiengesetz: sich „umfassend“ über Risiken und Chancen ins Bild setzen, damit sie auf „Grundlage angemessener Informationen“ ein Geschäft abschließen. Tun sie das nicht, handeln sie pflichtwidrig, sorglos und nicht korrekt. Und das ist strafbar.

Zwar hatte die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg rundweg bejaht, dass die 6 Ex-Vorstände zu wenig über Omega55 wussten, also pflichtwidrig handelten. Nur seien diese Pflichtverletzungen nicht „gravierend“ und „schwerwiegend“ genug, um sie als Untreue zu ahnden, so die Richter um Marc Tully.

Diesem argumentativen Irrweg hat der 5. Strafsenat des BGH ein Ende gesetzt und die Hamburger Strafrichter in die Pflicht genommen.

“Gravierend” ist kein gesetzlicher Maßstab

Sie selbst müssen „jeden Gesichtspunkt heranziehen“ und selbst gründlich wie umfassend ermitteln, auf welcher Grundlage angeklagte Manager bzw. Bankvorstände zu ihrer Entscheidung gekommen sind und ob sie dabei ihre Pflichten als Geschäftsleiter verletzt haben. Dafür braucht es nicht ein Einstufung einer Pflichtverletzung als gravierend.

Im Fall der Ex-HSH-Vorstände hatte sich die 8. Große Strafkammer beispielsweise nicht damit beschäftigt, wie denn die schriftliche Vorlage an die Vorstände für den Abschluss eines Geschäftes wie Omega55 „im perfekten Fall“ ausgesehen hätte.

Außerdem habe der Schriftsatz, den die Vorstände dafür unterschrieben, Passagen beinhaltet, bei denen der Strafsenat aufmerkte. „Wenn ich das als Fachmann lese, müssen die Alarmglocken schrillen“, sagte der Vorsitzende Sander. Der BGH-Senat habe allein aus dem Schriftsatz zu Omega „hinreichend deutlich erkennen“ können, dass sich der HSH-Vorstand nicht nur allgemein zu informieren hatte, sondern weitergehende Informationspflichten bestanden, weil vieles widersprüchlich und mangelhaft erklärt war.

Diesen weiteren Pflichten zur Selbstinformation hätten die Hamburger Strafrichter nachgehen müssen, was sie aber nicht taten. Ein entscheidender Mangel im Urteil. Ein „durchgreifender Rechtsfehler“.

Nicht eigennützig gehandelt? Nicht im Urteil belegt

Was der BGH ebenso anprangerte war die Einschätzung der Hamburger Richter, die Pflichtverletzungen der Angeklagten wären auch deshalb nicht als schwerwiegend zu bewerten, weil sie bei Omega55 uneigennützig gehandelt hätten.

Der Strafsenat stutzte dieses Argument zurecht: Aus dem Urteil könne diese Feststellung gar nicht entnommen werden, weil die Richter der Strafkammer nichts dazu im Urteil schrieben, ob zum Beispiel Boni oder andere persönliche Vergünstigungen an das Finanzgeschäft Omega55 geknüpft waren oder zumindest an Jahresabschlusszahlen der HSH Nordbank.

Bilanzfälschung 2008 war “erhebliche Fehlinformation”

Dirk Jens Nonnenmacher als damaligen Finanzvorstand und Joachim Friedrich, Kapitalmarktvorstand, waren zudem wegen Fälschung der Bilanz zum 1. Quartal 2008 angeklagt. Das falsche Einbuchen von Omega55 in die Bücher der HSH führte im Zwischenabschluss zu einem Gewinn. Bei richtiger Buchung wäre ein Verlust bilanziert worden. Auch hier verwarf der BGH die Freispruch-Argumente des Landgerichts. Die Hamburger Richter hatten gemeint, es sei nicht erheblich, ob in der Frühjahrsbilanz ein Gewinn von 81 Mio. steht oder ein Verlust von 31 Mio. Die Differenz von 110 Millionen Euro sei angesichts der Milliarden-Bilanzsumme der HSH und ihres Geschäftsumfangs keine erhebliche Abweichung – und damit nicht strafbar.

Falsch, urteilte der BGH. Die Strafkammer hätte eine Gesamtbetrachtung der Situation Anfang 2008 anstellen müssen. Damals erreichten die ersten Ausläufer der Finanzkrise auch die deutsche Bankenwelt. Dass die HSH in dieser unsicheren Zeit trotzdem in der Lage war, einen Gewinn auszuweisen, spiele für potentielle Investoren und Anleger sehr wohl eine Rolle, sagte Sander. Für den Senat ist die falsche Bilanzierung jedenfalls sehr wohl eine „erhebliche Fehlinformation“ der Leser*innen der Bilanz.

Neuverhandlung oder Geldfreikauf?

Am Ende seiner 12 Minuten dauernden mündlichen Urteilsverkündung erklärte Sander, der Revision werde stattgegeben, die Freisprüche der 8. Großen Strafkammer des Landgerichts Hamburg aufgehoben und an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen. Ob dann neu verhandelt wird oder es zu einem anderen Abschluss des Verfahrens kommt, legte der BGH in die Hand der neuen Strafkammer.

Statt einer Neuauflage des Prozesses um Untreue und Bilanzfälschung sieht die Strafprozessordnung auch vor, ein Verfahren gegen Geldauflage einzustellen. So geschehen im Mannesmann-Verfahren. Die Einstellung des Verfahrens rund um Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hatte aber für viel Protest gesorgt. Unter anderem deshalb, weil dadurch das Fehl-Verhalten der Bankmanager strafrechtlich ungeahndet blieb. 

Deshalb könnte es gut sein, dass das Verfahren gegen die sechs Ex-HSH-Vorstände tatsächlich noch einmal neu aufgerollt wird. Von Anfang an. Erstens, weil es von öffentlicher Wichtigkeit ist und weil von einem Präzedenz-Urteil eine disziplinarische Wirkung ausgehen könnte.  

Verteidigerriege überrascht von BGH-Urteil

Die sieben angereisten Verteidiger hatten nicht damit gerechnet, dass der BGH die Freisprüche aufhebt. Sie gaben sich bei ihrer Ankunft vor der Hauptverhandlung in Leipzig siegessicher – und blieben es bis zuletzt. Nach der Urteilsverkündung wirkten sie zerknirscht und äußerten sich selbstkritisch, dass sie überrascht seien.

Rechtsstaatlichkeit siegt …

Für mich bedeutet das Urteil des BGH, dass unser Rechtsstaat doch funktioniert. Denn es ist volkswirtschaftlich wie gesellschaftlich bedenklich, wenn hoch bezahlte Bankmanager, die nachweislich pflichtwidrig handeln, weil sie ein komplexes Milliarden-Finanzgeschäft einfach mal so durchwinken und Millionen- oder Milliardenschäden anrichten, nur deshalb womöglich nicht bestraft werden, weil die Materie komplex, undurchsichtig, wenig alltagsnah und intensiv verwoben mit politischen Entscheidern ist.

… tatsächlich?

Ob die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats allerdings in diesem speziellen Fall auch bis zum Landgericht Hamburg reicht, steht auf einem anderen Blatt. Denn statt einer Neuverhandlung mit Urteil könnte, wie vom BGH in einem Nebensatz mündlich angedeutet, auch eine finanzielle Einigung zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Angeklagten stehen. Ohne Urteil. Das wäre das schlechteste Ergebnis in meinen Augen. Kein Freispruch. Kein Schuldspruch.

Was bliebe, wäre der Eindruck, dass gesetzeswidrige Pflichtverletzungen, von Bankvorständen bei Finanzwetten vorsätzlich begangen, in Deutschland nicht bestraft werden.

Die Beschreibung des Urteils und meine Kritik vom Juli 2014 finden Sie hier und hier. Sie greift den Argumenten des BGH vor.

 

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Siehe auch:
NDR Fernsehen Kiel

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