Erster Zeuge im HSH Prozess sagt aus.

Als ersten Zeugen hat das Gericht am 3. Prozesstag den Mann geladen, der in der Londoner HSH-Niederlassung die Vorstandsvorlage für das im Zentrum der Anklage stehende Geschäft Omega 55 federführend koordiniert hat. Es ist Marc S., 37. Richter Tully betont, dass gegen S. nicht ermittelt werde und er die Wahrheit zu sagen habe.

Der Zeuge hat einen Anwalt mitgebracht. Marc S. antwortet zögerlich, wägt die Worte ab, spricht leise. Seine früheren Vorgesetzten sieht er nicht an, obwohl er seitlich zum Saal sitzt. Ein Verteidiger hatte das angeregt, dass der Zeuge seitlich zu den Angeklagten und Verteidigern Platz nimmt und ihnen nicht — wie vorgesehen — den Rücken zudreht, wenn er der Strafkammer gegenüber sitzt.

S. gibt an, dass er 1998 bei der HSH eine Banklehre absolviert hat und im April 2006 als M3-Gruppenleiter in die Niederlassung London gegangen ist, zur Financial Institutions Group (FIG). 

 

Tully: An was erinnern Sie sich bei Omega 55?

Marc S: Omega 55 war artverwandt mit einem Geschäft, das wir vorher gemacht hatten. Außerdem habe ich es als Neugeschäft eingestuft. Ungewöhnlich war, dass ich in London damit beauftragt wurde — von meinem Vorgesetzten Marti-Sanchez –, weil für Geschäfte, die das Eigenkapital (EK) entlasten sollten, (und darum ging es bei Omega) eigentlich eine andere Abteilung zuständig war. Mit solchen Transaktionen hatte ich selten zu tun. Meine Aufgabe bei Omega 55 war die Vorlage für den Vorstand zu koordinieren und gemeinsam mit meinen 3 Mitarbeitern den Analyse- und Bewertungsprozess zu steuern.

Omega 55 war Ende 2007 auch nicht das einzige EK-entlastende Geschäft. Wir hatten mehrere abzuarbeiten, wie “Ruby”, eine Transaktion mit der Investmentbank Lehmann Brothers und “St. Pancras” mit der Hypo Real Estate. EK-Entlastungen waren ein sehr prominentes Thema zu dieser Zeit und sie wurden regelmäßig am Ende eines Jahres vorgenommen.

Tully: Gab es allgemein die Ansage, danach zu suchen, wie die Bank ihre Bilanz von Risiken befreien kann?

S: Der Niederlassungsleiter in London, Louis Marti-Sanchez, sollte Ausschau halten, wie man das Eigenkapital von Risiken entlasten könnte. Ich sollte mit meinem Team dabei helfen.

Tully: An wen hatte Marti-Sanchez direkt zu berichten?

S: Ich glaube an Kapitalmarktvorstand Friedrich, ich vermute das.

Tully: Wann ist Omega 55 ins Gespräch gebracht worden und wem oblag das Projektmanagement?

S: Oktober 2007 war das. Es war aber keine Abteilung federführend. Es wurde bei uns in der FIG verwaltet. Ich habe am Ende viel koordiniert, aber ohne offizielle Anweisung, das zu tun.

Tully: Omega 55 hat ja 2 Teile, Teil-A und Teil-B. Mit Teil-A hat die HSH Risiken an die BNP Paribas abgegeben und damit ihr Eigenkapital ENTlastet. In Teil-B wiederum hat die HSH Risiken von der Paribas in die eigene Bilanz aufgenommen, ihr Eigenkapital also BElastet. 

Worin liegt in so einem Kreislaufgeschäft die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit?

S: Wenn die BNP Paribas Risiken abnimmt, zahlt dafür die HSH eine Prämie (für Teil-A). Bei Teil B ist es umgekehrt. Da zahlt Paribas eine Prämie an die HSH. Als Risikoversicherer ist die HSH aber Verlustrisiken ausgesetzt.

Tully: Warum wurde Teil-A mit Teil-B verknüpft?

S: Weil dieses Geschäft eine günstigere Risikoentlastung für die HSH war als andere Maßnahmen.

Tully: Haben die Vorstände während der Planungsphase über Omega gesprochen?

S: Soviel ich weiß, gab es viele Telefonate zwischen Marti-Sanchez und Kapitalmarktvorstand Friedrich.

Besonders besprochen wurde die Risikoentlastung, wie die aufsichtsrechtlich zu bewerten sei. Das wurde in der Rechtsabteilung geprüft. Omega war ein prominentes, ambitioniertes Projekt in der HSH und es wurde immer wieder diskutiert, ob die Entlastung des Eigenkapital aus aufsichtsrechtlicher Sicht (und damit wirksam in der Bilanz) tatsächlich eintreten würde.

Die Rechtsabteilung hat letztlich gesagt, ja, es ist aufsichtsrechtlich eine Entlastung.

Tully: Hat die Rechtsabteilung auch Teil-B geprüft?

S: Wir haben immer kommuniziert, dass es bei Omega 55 Teil-A UND Teil-B gibt. Für die Rechtsabteilung war das eine wesentliche Frage, ob das Rückholen von Risiken aufsichtsrechtlich o.k. ist, das hat die zuständige Juristin Vera S. geprüft. Ja, die Rechtsabteilung hat gegensätzliche Wirkungen von Omega 55 geprüft. Und dann hieß es: Die EK-Entlastung kann vorgenommen werden.

(Die zuständige Juristin Vera S. verneint diese Version später in ihrer Zeugenbefragung.) 

(Anmerkung: An dieser Stelle fragt Richter Tully leider nicht nach, ob das Ja aus der Rechtsabteilung bedeutet hat, dass Omega 55 INSGESAMT aufsichtsrechtlich o.k. und günstig für die HSH ist, oder nur Teil-A. Würde die Rechtsabteilung Omega 55 als Ganzes so bewertet haben, würde das den Vorstand eventuell entlasten.)

Tully: Hielten Sie das, was die Rechtsabteilung gesagt hat, für sinnvoll, war es plausibel für Sie?

S: Ich habe die Einschätzung zur Kenntnis genommen. Die Frage habe ich mir aber auch mit meinem gesunden Menschenverstand gestellt.

Tully: Wann hat Rechtsabteilung Omega 55 beurteilt?

S: Soweit ich mich erinnere Mitte Dezember (Anmerkung: nur wenige Tage später, am 19. Dezember, unterschrieb Vorstand Rieck bereits die Vorlage.) 

Für mich war aber klar, dass Omega nicht nur die Bilanz entlastet, sondern auch belastet.

Tully: Ist das nicht ein inhärenter Widerspruch? Erst ENTlastung von Risiken dann BElastung mit Risiken?

S: Für mich ist das kein Widerspruch. Weil die Entlastung des Kapitals in der Immobiliensparte anfällt (mit Teil-A) und die Belastung in der Sparte Kapitalmarkt (Teil-B) und jeder seine eigenen Budgets und Zielvorgaben hat.

Tully: Schaut keiner auf das Gesamtbild der Bank?

S: Die Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) erhält von uns eine Gesamtquote. Die Steuerung der verschiedenen Abteilungen und Sparten wie Immobilien, Kapitalmarkt, FIG, korrespondiert zu den vereinbarten Zielvorgaben, Geld zu verdienen. Nicht jedes Geschäft wird geprüft, ob es aufsichtsrechtlich o.k. ist und ob es die Bank als Ganzes im Eigenkapital beeinflusst. 

Tully: Wurde mit der Rechtsabteilung auch erörtert, wie Omega 55 zu bilanzieren ist?

S: Die BNP Paribas meinte, Teil-B wäre wie ein Kredit zu verbuchen, und die HSH sah das genauso. (Anmerkung: Wird ein Geschäft im Rechnungswesen als Kredit erfasst, werden eventuelle Wertverluste in der laufenden, unterjährigen Gewinn- und Verlustrechnung nicht sichtbar, sondern erst am Jahresende.)

Tully: Wurden die Vorstände vorab über Omega 55 informiert?

S: Kapitalmarktvorstand Friedrich wurde informiert, zu anderen kann ich nichts sagen.

 

Der Zeuge soll erneut am 4. Verhandlungstag vernommen werden, das ist Dienstag, der 6. August.

Marc S. hat übrigens bei der HSH Nordbank 1998 Bankkaufmannn gelernt und ging 2006 als Gruppenleiter zur Londoner Niederlassung der Landesbank. Gruppenleiter ist die unterste Führungsebene der HSH Nordbank, genannt M3, darüber rangieren die Bereichsleiter M2 und Abteilungsleiter M1, dann kommt der Vorstand.

Marc S. hat inzwischen beruflich die Seiten gewechselt und die HSH Nordbank 2011 verlassen. Er arbeitet heute als Projekt-Manager bei der Nachfolgerin des Bankenrettungsfonds Soffin, der FMSA. Das birgt eine gewisse Komik, weil die HSH Nordbank ohne die rettenden 10 Milliarden Euro des Soffin nicht überlebt hätte.

Auf der Netzwerk-Plattform LinkedIn führt sich der Zeuge als hoch motivierter, flexibler Finanzexperte für Verbriefungen mit mehr als 11 Jahren internationaler Erfahrung und bekannt im deutschen Bankensektor. 

Auf Xing wird deutlich, wo der Banker seine “internationale Berufserfahrung” gesammelt hat: ausschließlich vom Arbeiten bei der HSH Nordbank — bis auf einen wenige Monate umfassenden Ausflug bei einem internationalen Finanzdienstleister.

 

 

(Die Fragen und Antworten dieser ersten Zeugenbefragung habe ich sinngemäß und zusammengefasst wiedergegeben und nur in Auszügen.)

5 Gedanken zu „Erster Zeuge im HSH Prozess sagt aus.

  • 1. August 2013 um 17:38
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    Danke für die Zusammenfassung, das ist sehr interessant !

    Die Beschreibung bei LinkedIn ist aber von Herr S. selbst – also wie er sich selbst sieht.

    Im übrigen hat er seine Erfahrungen, auch die internationalen, fast ausschließlich bei der HSH bzw. einem Vorgängerinstitut gesammelt. Das Profil enthält keinen Hinweis auf besondere Abschlüsse oder Zusatzqualifikationen im Bereich der Strukturierten Finanzierungen.

    Schade, dass der Richter nicht danach gefragt hat, ob die Prämien bei diesem Geschäft aus der Sicht von Herrn S. im marktüblichen Rahmen gelegen haben.

    Antwort
    • 1. August 2013 um 20:44
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      Doch das hat er! Ich staune. Herr Marc S. aber hat darauf ausweichend geantwortet. Das hänge von zu vielen Dingen ab wie Marktstimmung, Volumen, Rating der Bank etc. Er hätte präziser antworten können und dann hätte Richter Tully sicherlich mit den Ohren geschlackert. Denn soviel ich weiß, waren die Konditionen, die die HSH von Paribas akzeptiert hat, nicht marktüblich, die HSH hat geschluckt, was Paribas wollte. Right?

      Marc S. hat manchmal nur ein, zwei Sätze gesagt. Für meinen Geschmack viel zu wenig. Als Journalist in so einem Prozess zu sitzen und nicht selbst Fragen stellen zu dürfen, ist eine besondere Art der Geduldsprobe, das können Sie mir glauben.

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      • 2. August 2013 um 19:47
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        Das glaube ich Ihnen sofort !

        Und am Montag ist der nächste Sitzungstag ?

  • 3. August 2013 um 11:35
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    Okay – am Dienstag (wer lesen kann, ist klar im Vorteil ;-)

    Ich bin gespannt…

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  • 5. August 2013 um 19:41
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    Tully: Schaut keiner auf das Gesamtbild der Bank?
    S: Nicht jedes Geschäft wird geprüft, ob es aufsichtsrechtlich o.k. ist und ob es die Bank als Ganzes im Eigenkapital beeinflusst.

    – das mag für jeden herkömmlichen Kredit gelten, aber dieses Geschäft war Gegenstand des “Neue-Produkte-Prozesses”.

    Hier sahen auch die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk in der Fassung vom 06.03.2007) vor:

    “Für die Aufnahme von Geschäftsaktivitäten in neuen Produkten oder auf neuen Märkten (einschließlich neuer Vertriebswege) ist vorab ein Konzept auszuarbeiten. Grundlage des Konzeptes muss das Ergebnis der Analyse des Risikogehalts dieser neuen Geschäftsaktivitäten sein. In dem Konzept sind die sich daraus ergebenden wesentlichen Konsequenzen für das Management der Risiken darzustellen.”

    Vielleicht geht es morgen in diese Richtung noch weiter, denn die Antwort von Herrn S. war hier zumindest unvollständig.

    Die Berichterstattung legt nahe, dass die für die Bearbeitung des Neue-Produkte-Prozesses zuständigen Mitarbeiter auch die Aufgabe der Koordinierung zumindest im Marktfolgebereich hatte.

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